Roland Scheck

Kantonsrat fordert Umkehr der Kehrtwende

ZVV-Verkaufsstellen in Wiedikon und Schwamendingen sollen erhalten bleiben

Der ZVV hat die Verkaufsstellen am Goldbrunnenplatz und Schwamendingerplatz geschlossen, nachdem er zwei Monate zuvor noch verkündete, dass die Schliessung sistiert würde, um den politischen Prozess abzuwarten. Damit wurde der Kantonsrat vor vollendete Tatsachen gestellt.

Auf dem Gebiet der Stadt Zürich existierten bis vor Kurzem 14 ZVV-Verkaufsstellen, wovon je eine der SBB-Schalter im Hauptbahnhof und eine der ZSG-Schalter am Bürkliplatz sind. Sieben der 14 Verkaufsstellen liegen in der Innenstadt, teils in unmittelbarer Nähe zueinander. Ausserhalb der Zürcher City jedoch ist die Versorgung mit ZVV-Verkaufsstellen eher dürftig: Eine einzige Verkaufsstelle (Enge) steht über 30'500 Bewohnenden des Stadtkreises 2 zur Verfügung, zwischen dem Bahnhof Schlieren und dem Albisriederplatz existiert für mehrere zehntausend Menschen lediglich die Verkaufsstelle am Bahnhof Altstetten, die Einwohner von Witikon, Hirslanden, Hottingen und Fluntern müssen bis Tiefenbrunnen oder gar ins Stadtzentrum reisen.

Periphere Verkaufsstellen geschlossen
Während die Innenstadt gut mit Verkaufsstellen abgedeckt ist, mangelt es an einer angemessenen Versorgung der Aussenquartiere. Dass nun aber ausgerechnet die beiden peripheren Ticketerias in Wiedikon und Schwamendingen geschlossen wurden, ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar.
Die Verkaufsstelle am Goldbrunnenplatz ist die einzige solche im Stadtkreis 3. Könnte es den Kreis-3-Bewohnern des Quartiers Sihlfeld allenfalls noch zugemutet werden, ihre Geschäfte an der Verkaufsstelle Albisriederplatz zu erledigen, gilt dies nicht für die 28'000 Einwohner von Friesenberg und Alt-Wiedikon. Dazu kommt, dass die räumlich beschränkte Verkaufsstelle Albisriederplatz gar nicht in der Lage wäre, deutlich mehr Kundenfrequenz aufzunehmen.
Gleiches gilt für die neu gestaltete Verkaufsstelle im Bahnhof Oerlikon, wo schon heute teils unzumutbar lange Wartezeiten in Kauf genommen werden müssen. In ganz Zürich-Nord, umfassend die Stadtkreise 11 und 12, leben heute über 105'000 Menschen. Es ist undenkbar, dass die einzige zum Verbleib vorgesehene Verkaufsstelle in Zürich-Nord auch Verkaufsstelle für die 31'822 Einwohner des 12. Stadtkreises würde, zumal die drei Stadtquartiere des Kreis 12 zu den Gebieten gehören, für welche bis 2030 kantonsweite Spitzenwerte im Bevölkerungszuwachs prognostiziert werden: Hirzenbach +56 Prozent, Saatlen +43 Prozent, Schwamendingen-Mitte +29 Prozent.

Bevölkerung und Politik hintergangen
Im November 2017 musste die Bevölkerung der Stadtzürcher Kreise 3 und 12 aus der Presse erfahren, dass der ZVV die Verkaufsstellen am Goldbrunnen- und am Schwamendingerplatz auf Ende 2018 schliessen möchte. Diesem Entscheid erwuchs massiv Opposition; unter anderem wurde dem Regierungsrat eine Petition übergeben. Die betroffenen Quartiervereine erhielten zahlreiche Reaktionen aus der Bevölkerung. Im Kantonsrat reichten SVP, SP und CVP einen Vorstoss für den Erhalt dieser Verkaufsstellen ein. Im Gemeinderat der Stadt Zürich wurden zwischenzeitlich zwei Vorstösse mit analogen Forderungen vom Parlament überwiesen.
Infolgedessen kam ein Lichtblick für die betroffene Quartierbevölkerung. Sie wurde Ende August 2018 durch ein offizielles Schreiben des ZVV an die Quartiervereine informiert, dass die Schliessung der beiden ZVV-Verkaufsstellen sistiert werde, bis der Vorstoss im Kantonsrat behandelt sei.
Nachdem die Mehrheitsverhältnisse im Kantonsrat absehbar waren und von einer grossmehrheitlichen Zustimmung ausgegangen werden musste, hat der ZVV eine Kehrtwende vollzogen und die Flucht nach vorne ergriffen. Angesichts der drohenden Niederlage im Kantonsrat beschloss er, die Politik vor vollendete Tatsachen zu stellen. Am 27. November kommunizierten VBZ und ZVV per Medienmitteilung, dass die Verkaufsstellen nun doch auf Ende 2018 geschlossen würden.

Kantonsrat bleibt unbeeindruckt
In der vergangenen Ratssitzung wurde der Vorstoss von SVP, SP und CVP nun behandelt. Das Parlament liess sich von den vollendeten Tatsachen nicht beeindrucken. Mit 114 zu 51 Stimmen wurde die Regierung beauftragt, die beiden Verkaufsstellen in Wiedikon und Schwamendingen weiter zu betreiben.
Nur FDP, GLP und EVP stemmten sich dagegen. Insbesondere die Neo-Ökopartei FDP vollzog dabei einmal mehr einen bemerkenswerten Rückwärtssalto. Im Zürcher Gemeinderat war die FDP vehement gegen eine Schliessung, und im Kantonsrat sprach sie sich vehement dafür aus.

Artikel erschienen am 23.08.2019 in der Zeitung «Der Zürcher Bote»